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WAS ICH ZU SAGEN HABE

Rede für den Frieden (Leipzig, Ostern 2023)


Liebe Leute,
die Ihr das Zuhören und das Nachdenken noch nicht verlernt habt, ich bitte Euch: Schenkt mir ein wenig von Eurer Zeit und von Eurer Aufmerksamkeit!

„Was sind das für Menschen, die da demonstrieren, die sich empören?“ – Das habe ich mich früher auch immer gefragt. Heute, angesichts der immer bedrohlicheren Entwicklungen, frage ich mich: „Was sind das für Menschen, die sich nicht empören, die nicht ihre Stimme erheben?“

Ich heiße Matti Rabold, und ich wurde 1970 geboren, selbstverständlich als Kind meiner Eltern, aber im gleichen Maße auch als der Enkel meiner Großmutter, Oma Gertrud, und meines Großvaters Werner, der es gegen seine Grundsätze und gegen seine eigene innere Überzeugung auf sich genommen hatte, gegen die Sowjetunion in den Krieg zu ziehen. Das faschistische Deutschland hatte in einem Akt der Barbarei seine Nachbarstaaten überfallen und ganz Europa mit einem Krieg überzogen. In der Rhetorik der damaligen Machthaber war der Schritt logisch und „ALTERNATIVLOS“. Die Mär vom „Volk ohne Raum“ wurde den Menschen erzählt. Endlos sollte sich das Deutsche Reich ausdehnen. Am „deutschen Wesen“, sollte „die Welt genesen“. Der Krieg, dessen Hauptlast die Sowjetunion zu tragen hatte, tobte von 1939 bis 1945. Darüber, wer diesen Krieg finanzierte, und wer letztendlich von ihm profitierte, streiten sich Historiker noch heute. Aber mit Sicherheit waren es nicht die einfachen Menschen, nicht die in Deutschland, und noch viel weniger die in den überfallenen Ländern.

Ungefähr dort, wo mein Großvater nach Kriegsende in einem Gefangenenlager verhungerte, stehen sich heute russische und ukrainische Soldaten in einem mörderischen Krieg gegenüber, unter dem, wie in allen Kriegen, vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden hat; Russen und Ukrainer, die seit Menschengedenken Brudervölker waren, die gemeinsam die Nazis zurückgeschlagen hatten…

Ich verurteile diesen Krieg. Ich verurteile den Überfall der Russen genauso wie die geostrategischen Interessen, Gewichtungen, Entscheidungen, die diesen Bruch des Völkerrechts begünstigt, in den Augen der Aggressoren möglicherweise als „alternativlos“ haben erscheinen lassen. Denn auch dieser Krieg ist das Resultat einer Entwicklung, das Resultat gebrochener Versprechen, gebrochener Verträge und eben der unseligen Einmischung fremder Mächte.

Ein Krieg, so meine ICH, ist mitnichten die „Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“. Ein Krieg ist ein Rückfall der Menschheit ins Barbarische, denn allein die Fähigkeit, Konflikte durch Vernunft und Diskussion zu lösen ist es ja, die uns Menschen vom Tier unterscheidet.

Einen gerechten Krieg kann es nicht geben. Wer also einen Krieg beginnt, ist ein Verbrecher.

Wer es aber unterlässt, einen Krieg zu beenden, obgleich es in seiner Macht steht, ist ebenfalls ein Verbrecher.

Tut unsere Regierung im Moment alles, was in ihrer Macht steht, um diesen Krieg schnellstmöglich zu beenden?
Ich höre nichts davon. Ich höre, man wolle Russland „besiegen“. Aber wie soll denn dieser „Sieg“ aussehen, ein „Sieg“ gegen ein mächtiges Reich, eine Atommacht, wie Russland. Und wer soll diesen Kampf ausfechten, wenn die Ukraine alle ihre tapferen Frauen und Männer geopfert hat? Senden wir dann unsere tapferen Frauen und Männer an die Front? Seid Ihr dazu wirklich bereit? Oder glaubt Ihr, wir reichen Deutschen könnten uns aus diesem Konflikt herauskaufen?

Seid Ihr wirklich damit einverstanden, dass die „Grünen“, viele von Euch haben sie gewählt, immer mehr und immer schwerere Waffen in diesen Konflikt werfen wollen. Seid Ihr wirklich damit einverstanden, dass die deutsche Außenministerin vor allem Brücken hinter sich abreißt, statt Brücken zu bauen. Dies wäre nach meiner Überzeugung die vorrangige Aufgabe der Diplomatie. Wer soll denn den Waffenstillstand und den Frieden verhandeln - einen europäischen Frieden, der ohne das mächtige Russland nicht gelingen kann?!

Wir dürfen der Eskalation dieses Krieges nicht länger tatenlos zusehen. Im Interesse der Menschen in der Ukraine, im Interesse der Menschen in Russland, in unserem eigenen Interesse, im Interesse der Menschen auf der ganzen Welt müssen wieder Gespräche geführt werden. Als es um den ukrainischen Weizen ging, war dies möglich. Wer immer behauptet, Gespräche seien unmöglich, der signalisiert damit, dauerhaft auf der Ebene der Barbarei verbleiben zu wollen. Was ich aber fordere, ist, auf die Ebene der Menschlichkeit zurückzukehren. Ja, ich fordere die deutsche Politik auf, sich mit allen Beteiligten an einen Tisch zu setzen und über den Frieden zu verhandeln. Und auch Ihr solltet das fordern!

Lasst uns gemeinsam dafür einstehen, dass alle geostrategischen Interessen hintangestellt und endlich wieder Verhandlungen versucht werden, damit die Gefahr einer weiteren Eskalation und des Einsatzes von Atomwaffen gebannt wird; und damit das Sterben in der Ukraine endlich aufhört.

„Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.“
Dieses Zitat stammt von John F. Kennedy. Und diese Menschheit, von der er spricht, sind wir.

Ein Werk von Tschaikowski war es, das junge Menschen aus der ganzen Welt vor zwei Wochen gemeinsam spielten. Ich saß im Publikum, und ich sah plötzlich vor meinem inneren Auge die unendlichen Weiten Russlands, und ich spürte etwas von der berühmten russischen Seele. Es muss möglich sein, und es wird möglich sein, mit dem russischen Volk in Frieden zu leben. Was sollte uns daran hindern?

Geschrieben für den „Ostermarsch“ der Leipziger Friedensbewegung, gesprochen auf einer Friedensdemonstration der „Bewegung Leipzig“ am 08. April 2023

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